
CHUR -
In der Bibel steht nichts über die Höhe der Steuern. Also stellt sich die Frage: Soll sich die Kirche zu politischen Fragen äussern – oder schweigen? Drei Schwergewichte aus der Politik und der Generalvikar des Bistums Chur kreuzten die Klingen.
Für einmal diskutieren sie nicht in den altehrwürdigen Räumen des Bundeshauses in Bern. Nein, diesmal wagten sich CVP-Präsident Gerhard Pfister (55), FDP-Präsidentin Petra Gössi (42) und SVP-Nationalrat Gregor Rutz (45) in Gemäuer – oder zumindest Fundamente –, die um einiges älter sind: Seit dem Jahr 451 nach Christus residiert ein Bischof am Hof von Chur. Und so fanden sich die drei Parteipräsidenten gestern Abend im bischöflichen Rittersaal wieder.
Geladen hatte nicht Bischof Huonder (75) persönlich zum Podium, sondern seine rechte Hand, Generalvikar Martin Grichting (50). Der Geistliche hat mit «Eine katholische Antwort auf den Pluralismus» soeben ein Buch veröffentlicht. Soll sich die Kirche in die Politik einmischen? Wann wird Religion gefährlich für Politik und Staat? Und sollte Religion nicht besser Privatsache sein? Dies fragte Podiumsleiter Christian Dorer (43), Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Kirchenvertreter vertreten meist linke Positionen
Auffallend: Für einmal herrschte Einigkeit im bürgerlichen Lager. «Man kann aus der Bibel nicht ableiten, ob man Steuern erhöhen oder senken soll», sagte Pfister. Gössi pflichtete ihm bei: «Wenn ein Pfarrer mir sagt, dass ich als Politikerin etwas falsch mache, dann kommt mir das schräg.»
Als es um die Schliessung eines Spitals in Einsiedeln ging, sei sie vom Pfarrer blossgestellt worden – vor der Kirchgemeinde. «Da lernte ich, was es heisst, abgekanzelt zu werden», erinnerte sich die Schwyzerin.
Ein Dorn im Auge der Podiumsgäste: Abstimmungsempfehlungen von geistlichen Autoritäten – wie etwa bei der Energiestrategie. Wenn sich Kirchenvertreter einmischten, würden sie linke Positionen vertreten, kritisierte CVP-Chef Pfister. «Wenn früher die Einheit zwischen Altar und Thron war, dann ist die Einheit heute zwischen Altar und Genosse», sagte er – und erntete im vollbesetzten Rittersaal Lacher.
«Wir haben dieses Durcheinander doch auch!»
Wäre dieses Podium vor 15 Jahren veranstaltet worden, «wäre der Saal höchstens halb so voll», bemerkte Pfister. Durch die Islamdebatte müsse sich die Gesellschaft heute wieder die Frage nach der Trennung von Kirche und Staat stellen. «Wir haben vergessen zu begründen, wie eine religiöse Gemeinschaft sich in einem Rechtsstaat verhält», bemerkte Grichting.
«Kann der Islam den demokratischen Verfassungsstaat stützen?» Das sei die Frage, die man sich stellen müsse, so Petra Gössi. Denn wenn der Islam sage, der Staat sei «des Teufels», dann gebe es nur «schlechte Moslems oder gute Bürger».
Diesen Punkt habe das Christentum mit der Aufklärung geklärt, dem Islam stehe das noch bevor, so Pfister. «Man kann als Christ der Meinung sein, dass die Fristenlösung bei Abtreibungen nicht mit dem eigenen Glauben vereinbar ist. Aber die Schweiz ist ein Rechtsstaat, die Mehrheit hat entschieden, dass Abtreibungen verfassungskonform sind.»
Es gebe in der Abtreibungsfrage «grossen Druck auf die Kirche, sich nicht einzumischen», sagte Generalvikar Grichting. Dort sei es legitim, weil es um die Schöpfung geht. Im politischen Alltag solle sich die Kirche zurückhalten: «Wir werfen dem Islam vor, Staat und Kirche zu vermischen. Doch ich frage mich: Sind wir glaubwürdig? Wir haben dieses Durcheinander doch auch!»